Kaspar Hauser
eine kurze Zusammenschau seines Lebens in der Welt (1828-1833)
Am 26. Mai 1828, einem Pfingstmontag, erscheint in Nürnberg wie aus dem Nichts ein etwa 16 Jähriger junger Mensch. Sein Name: Kaspar Hauser. Binnen kürzester Zeit wird er zum bekanntesten Findling der Neuzeit. Da ganz Europa von ihm spricht, erhält er den Beinamen „Das Kind Europas“. Seine Reinheit und Güte, Unschuld und Milde bewegen die Zeitgenossen tief, seine außerordentlich gesteigerten Sinneswahrnehmungen rufen Bewunderung und Fragen hervor. Und der Stadtgerichtsarzt Nürnbergs diagnostiziert: „Dieser Mensch ist weder verrückt noch blödsinnig, aber offenbar auf die heilloseste Weise von aller menschlichen und gesellschaftlichen Bildung gewaltsam entfernt worden.“ Somit verdichtet sich die Vermutung, dass ein Verbrechen vorliegt und das Erscheinen des jungen Menschen in der Welt als eine Aussetzung, nicht als eine Freilassung, zu sehen ist.
Dann kommt er zu Lehrer Daumer und die Lernfähigkeit ist von überraschender Schnelle. Auch seine Gedächtnisleistung ist enorm gesteigert. Und als er dann gar fähig ist, seine Kerkerzeit zu beschreiben, erfolgt Oktober 1829 der erste Mordanschlag auf ihn. Doch er überlebt, muss allerdings das Haus des so geschätzten Lehrers verlassen, da auch er Morddrohungen erhält.
Ab Mai 1831 erfolgt dann ein ganz anders gearteter „Anschlag“ auf Hausers Leben, der aber lange Zeit nicht als solcher erkannt wird. Ein Lord aus England spricht bei Nürnbergs Bürgermeister vor und fordert, das Kind Europas kennenlernen zu wollen. Binnen kurzer Zeit avanciert er dann zu Kaspar Hausers Pflegvater. Erst Jahre nach dem gewaltsamen Tod Kaspar Hausers wird er in seiner wahren Gesinnung zu erkennen sein als Geheimagent und Diener gleich mehrerer Auftraggeber.
Lord Stanhope schafft es, einen Keil zwischen Hauser und seinen Nürnberger Gönnern zu treiben und veranlasst Kaspars Wohnortswechsel nach Ansbach. Dieser nun in Ansbach lebende Kaspar ist längstens nicht mehr jenes „Wolfskind“, für das er einmal gehalten wurde. Viele seiner außerordentlichen Fähigkeiten haben mit der Zeit abgenommen, er assimiliert sich Schritt für Schritt der Gesellschaft. Doch eine Frage wird immer lauter in ihm. Die Frage nach dem: Wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich? Tagsüber arbeitet er als Aktenkopierer auf dem Appellationsgericht, abends ist er oft zu Gast bei Regierungspräsident von Stichaner, der zum Tanze lädt.
Ab Oktober 1832 erhält „Das Kind Europas“ Religionsunterricht bei Pfarrer Heinrich Fuhrmann. Am 20. Mai 1833 erfolgt Hausers Einzelkonfirmation in der Schwanenritterkapelle zu Ansbach. Dieses lichte Ereignis prägt Kaspar tief.
Doch kurz darauf bricht erneut Gefahr ein. Der große Jurist Feuerbach stirbt plötzlich unter qualvollen Schmerzen. Er schreibt noch mit letzter Kraft auf einen Zettel „man habe ihm etwas gegeben“. Er ist sich sicher, vergiftet worden zu sein. Was liegt vor?
Im Jahre 1832 hat er sein wichtiges Buch zu dem Findling veröffentlicht. Sein Titel: „Kaspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“. Dieses Werk ist bis heute wichtigste Grundlage jeglicher Kaspar-Hauser-Forschung. Hierin hält sich Feuerbach aber nahezu völlig zurück bezüglich der politischen Dimension des Verbrechens um Kaspar Hauser. Er weiß, dass dieses Thema zu prekär ist. Seine Forschung diesbezüglich hält er recht verborgen und sendet sie nur in einem „Geheimen Memoire“ an die Königinwitwe Caroline von München. Hier wagt er zum ersten Male, vorsichtig seine als „Erbprinzentheorie“ bekannt gewordene These zu Papier zu bringen. Doch es war nicht „geheim“ genug.
Nun vereinsamt Kaspar Hauser zunehmend in Ansbach. Sein Mentor Feuerbach ist gestorben, sein Pflegevater Stanhope schreibt nur noch aus der Ferne Briefe, begegnet aber nie wieder seinem ihm anvertrauten Zögling. Im Sommer 1833 trifft Hauser auf dem Nürnberger Nationalfest gar den Bayerischen König und hat eine lange Unterredung mit ihm. Er bittet den Souverän, verlautbaren zu lassen, dass den in das Verbrechen gegen ihn beteiligten Tätern, keine Strafe zukommen solle. Der König verspricht ihm seine Hilfe. Doch bereits im Dezember schlagen die Dunkelmänner erneut zu.
Im Wissen um Kaspars innigsten Wunsch, zu erfahren, wer seine Mutter sei, locken die Täter ihn in den Hofgarten. So geht Kaspar Hauser am 14. Dezember in den verschneiten Garten, wo er von einem Mann erwartet wird, der ihm einen Beutel überreicht. Hauser vermutet darin die Lösung seiner Identitätsfrage. Als er den Beutel öffnen will, erfährt er einen brachialen Dolchstoß, der mit solch einer Wucht getätigt wird, dass er, wie die Ärzte später erkennen werden, durch den Herzbeutel, durch den Lungenflügel, durch das Zwerchfell bis in die Leber reicht. Und doch rafft er sich auf und rennt zu seinem Erziehungsberechtigten, Lehrer Meyer. Doch dieser will ihm nicht Glauben schenken und geht mit dem Opfer erneut zu der Attentatsstelle. Tatsächlich wird dort der Beutel gefunden. Der Mörder, das versteht sich von selbst, ist weg.
Nun beginnt ein weiterer Komplott. Meyer wird alles daran setzen, Kaspar Hauser eines Selbstmordes zu bezichtigen, dabei werden am 14. Dezember mehrere klare Zeugenaussagen gemacht bezüglich eines Tatverdächtigen, doch die Polizei wird niemanden fassen!
Kaspar Hauer muss stundenlange Verhöre über sich ergehen lassen. Am 17. Dezember dann verschlechtert sich seine Situation zunehmend. Auf die Frage, ob er noch jemandem etwas zu verzeihen habe, antwortet er: „Warum denn, es hat mir doch niemand etwas getan!“ Meyer sieht darin einen Beweis des Selbstmordes, andere sehen darin eine verklärte Seele, bereits nicht mehr ganz von dieser Welt. „Gott hat mir immer die besten Menschen gegeben, doch war das Ungeheuer größer“ ist ein anderer, markanter Satz, den er auf dem Sterbelager sagt. Seinen Pfarrer bittet er, ein Gebet für den Mörder zu sprechen. Am 17. Dezember, drei Tage nach dem Attentat, stirbt Hauser. Am 20. Dezember wird er unter größter Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Ansbacher Stadtfriedhof beigesetzt.
Und diese Anteilnahme an dem Kind Europas wird auch über die Zeiten nicht abreißen. Auf seinem Grabstein in Ansbach steht geschrieben, Kaspar Hauser sei das „Rätsel seiner Zeit“ Zeit. Diese Zeit aber hält weiterhin an! Denn zu groß, zu gewichtig sind die Fragen, die mit seinem Wesen und seiner Mission einhergehen, auf dass es den Gegenkräften hätte gelingen können, ihn aus dem Menschheitsgedächtnis auszuradieren!